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Beitrag vom 26.01.2024
Forschende finden bisher unbekannte Deportationsfotos von verfolgten Juden und Jüdinnen in Dresden
AVIVA-Redaktion
Der internationale Forschungsverbund "#LastSeen. Bilder der NS-Deportationen". Die Originalaufnahmen, auf denen Breslauer:innen kurz vor der Deportation zu sehen sind, wurden in Archivbeständen des Landesverbandes Sachsen der Jüdischen Gemeinden in Dresden gefunden und gemeinsam erforscht. Einsehbar auf dem digitalen Bildatlas #LastSeen.
Die Fotos stammen von einem jüdischen Fotografen, der diese bei zwei Deportationen in den Jahren 1941 und 1942 unter größtem Risiko heimlich aus dem Versteck gemacht hatte. Die Fotos werden anlässlich des Gedenktags an die Befreiung des Konzentrationslagers Auschwitz am 26. Januar 2024 auf dem digitalen Bildatlas #LastSeen veröffentlicht.
"Der ebenso zufällige wie herausragende Archivfund des Kollegen Steffen Heidrich in Dresden ermöglicht völlig neue Perspektiven auf die Deportationen von als Juden verfolgten Menschen in Breslau", sagt Dr. Alina Bothe, Leiterin des internationalen Forschungsprojekts #LastSeen. Bei dem Fund handelt es sich um 13 Originalabzüge, die heimlich von einem jüdischen Fotografen unter großem Risiko aufgenommen wurden. Die Bilder zeigen die klare Intention des Fotografen, das schreckliche Geschehen für die Nachwelt zu dokumentieren. Dies ist außergewöhnlich, da nur sehr wenige Fotografien von Deportationen überliefert sind, die von Verfolgten aufgenommen wurden. Die Aufnahmen zeigen Deportationen in den Jahren 1941 und 1942: 12 Fotos stammen aus dem November 1941 und ein weiteres aus dem April 1942.
Zum historischen Hintergrund:
Am 21. November 1941 wurden mehr als 1.000 Breslauer:innen von der Polizei verhaftet und in die Gaststätte Schießwerder nahe des Bahnhofs Odertor gebracht, wo sie auf engstem Raum insgesamt vier Tage verbringen mussten, bevor sie am 25. November in einen Zug nach Kaunas gezwungen wurden. Direkt nach der Ankunft in Kaunas wurden alle Menschen vier Tage später von einem Einsatzkommando im Fort IX erschossen. Es gibt keine Überlebenden dieser Deportation. Die Fotos sind damit die letzten Zeugnisse der Ermordeten. Ab dem 9. April 1942 wurden abermals fast eintausend Personen in der Gaststätte Schießwerder in Breslau gesammelt und von dort vier Tage später mit einem Zug nach Izbica transportiert. Nur zwei Personen haben diese Deportation überlebt.
Der Fotograf
Nach Abgleich der Möglichkeiten ist als sehr wahrscheinlich anzunehmen, dass die Fotografien von Albert Hadda (1892-1975) angefertigt wurden. Hadda war Architekt und erfahrener Hobbyfotograf mit guter Ausrüstung. Nach Sichtung der Aufnahmen ist dem Forscher:innenteam klar: Der Fotograf war kein Täter und auch kein zufälliger Passant, da der Zutritt zum Gelände für Unbeteiligte verboten war. Durch seine Ehe mit einer Nicht-Jüdin war Hadda zunächst partiell geschützt. Er arbeitete bereits seit einem Berufsverbot 1934 weitestgehend für die Jüdische Gemeinde Breslau und betreute ab April 1942 die Deportationstransporte im Auftrag der Gemeinde auch offiziell. Er fertigte trotz Verbots mehrere heimliche Aufnahmen dokumentarischer Natur an, die sich heute in Privatbesitz befinden. Hadda wurde 1944 in ein Zwangsarbeitslager verbracht, von wo ihm im Januar 1945 die Flucht nach Breslau glückte. Bis zur Befreiung versteckte er sich in Breslau. Später gelangte er mit einem Transport Überlebender aus Breslau erst nach Erfurt, später lebte er in Fulda. Es ist anzunehmen, dass Hadda die Fotos in Erfurt übergab und sie von dort nach Dresden gelangten.
Was ist auf den Fotos zu sehen?
Albert Hadda fotografierte aus dem Verborgenen. Auf den neu entdeckten Originalabzügen ist zu erkennen, dass die Fotos hinter Mauervorsprüngen und in Fahrzeugen verborgen aufgenommen wurden. Seine Aufnahmen zeigen, wie sich die Menschen am Deportationsort versammeln mussten. Sie bereiten sich auf die Abfertigung und den noch unklaren Abtransport vor. Überall stapelt sich Gepäck. Wenngleich der Fotograf noch nicht wissen kann, was mit den Menschen geschehen wird, ist ihm klar, dass dieser Akt festzuhalten ist, dass hier ein dokumentationswürdiges Verbrechen vorliegt. Dies erklärt seinen vor allem dokumentarischen Blick auf die Ereignisse.
Die Aufnahmen aus dem November 1941 zeigen die Sammlung der Menschen im Biergarten der Gaststätte Schießwerder, die Verladung des Gepäcks sowie weitere Aspekte der sogenannten Durchschleusung, der "Abfertigung" der zur Deportation bestimmten Personen. Ein Foto aus dem April 1942 zeigt, wie vier ältere, mit schwerem Gepäck beladene Frauen die Gaststätte Schießwerder betreten und sich dort zur Deportation einfinden.
Zum Fund
Steffen Heidrich, Historiker und Mitarbeiter des Landesverbandes Sachsen der Jüdischen Gemeinden war bei der ehrenamtlichen Sichtung des Archivbestands des Landesverbands vor einigen Monaten auf den zentralen Archivfund mit den 13 Originalabzügen gestoßen, die Deportationen aus Breslau zeigen. In einem gemeinsamen Arbeitsprozess mit dem internationalen Forschungsprojekt "#LastSeen. Bilder der NS-Deportationen" und der BKM-Juniorprofessur "Ökonomische und soziale Netzwerke der Deutschen im östlichen Europa im 19. und 20. Jahrhundert" an der Universität Dresden wurden die außergewöhnlichen Fotos erschlossen und analysiert. In einem internen Peer-Review-Verfahren wurden die Erkenntnisse abschließend validiert. Der Landesverband Sachsen der Jüdischen Gemeinden, K.d.ö.R. vertritt die Interessen von Jüdinnen und Juden in Sachsen. In seinem Archiv lagern sowohl Verwaltungs-, als auch Bild- und Tondokumente, die noch weitestgehend unerschlossen sind.
Der Forschungsverbund #LastSeen
Der internationale Forschungsverbund "#LastSeen. Bilder der NS-Deportationen" hat seit 2021 rund 500 NS-Deportationsfotos aus 60 Städten aus dem Gebiet des Deutschen Reichs in den Grenzen von 1937 zusammentragen. Viele der abgebildeten verfolgten Jüdinnen und Juden, Sinti und Roma oder "Euthanasie"-Opfer sind auf den Bildern zum letzten Mal zu sehen. Im Rahmen des Forschungsprojektes werden unter anderem die Hintergründe der Fotos recherchiert und wissenschaftlich kontextualisiert. Ein digitaler Bildatlas macht die historischen Fotos mit wissenschaftlichen Einordnungen öffentlich zugänglich. Der Verbund will mit #LastSeen Grundlagenforschung zum Nationalsozialismus leisten und die Ergebnisse frei zugänglich machen. Vermittelt werden soll auch die tiefe Verstrickung der deutschen Bevölkerung in die Ermordung von Millionen Menschen. Im internationalen Verbundprojekts #LastSeen arbeiten sechs renommierte Partnerorganisationen zusammen: die Arolsen Archives – International Center on Nazi Persecution, das USC Dornsife Center for Advanced Genocide Research, Los Angeles, die Gedenk- und Bildungsstätte Haus der Wannsee-Konferenz, Berlin, die Gedenkstätte Hadamar, Public History München und das Selma Stern Zentrum für Jüdische Studien Berlin-Brandenburg, das an der Freien Universität Berlin angesiedelt ist
Weitere Informationen
Portal digitaler Bildatlas "#LastSeen": atlas.lastseen.org
Fotocredit Deportationsfotos: © Landesverband Sachsen der Jüdischen Gemeinden"
Fotocredit key visual: © "#LastSeen" project / &Why
CC BY-NC-ND 4.0
https://creativecommons.org/licenses/by-nc-nd/4.0/